LR pixel re:capitulation 25 - Business of Content

re:capitulation 25

Vom 26.-28. Mai 2025 fand die re:publica25 statt. Das „Festival für die digitale Gesellschaft“ stand dieses Jahr unter dem Motto „Generation XYZ“. Eine punktuelle Rezension

Wer sich der großen Stage 1 auf dem Eventgelände STATION in Berlin Kreuzberg nähert, fühlt sich wie im voll besetzten Jumbojet: Im dunklen, mit engen Stuhlreihen bestückten Saal leuchten kleine Bildschirme vor fast jedem der bläulich illuminierten Gesichter. Es sind nicht etwa in die Rücken der Stuhllehnen eingelassene Bildschirme sondern Handys, die die Aufmerksamkeit der Zuschauenden im Wechsel mit der Bühnenperformance auf sich ziehen. Dieses Szenario, zu beobachten auf der re:publica25, bringt auf den Punkt, um was es hier geht: die Konkurrenz zwischen Be- und Entschleunigung, überfliegen und vertiefen, zwischen analoger und digitaler Welt. Um die Frage, ob die Metamedienkompetenz der hier Anwesenden ausreicht, um immer alles gleichzeitig konsumieren und verarbeiten zu können. Oder haben sich alle längst daran gewöhnt, dass die Informationsströme im Nirwana einer der hinteren Rinden des Hirns versickern? Und wenn das Medium tatsächlich die Message ist, wie die Ikone der Kommunikationstheorie, Marshall McLuhan, 1964 schrieb, das Medium also beeinflusst, wie wir denken und was wir mitteilen, was macht dann die KI-Infiltration der Medien mit uns? Fragen über Fragen, das ist doch schon einmal ein guter Start.

Kunst gab es auch auf der re:publica25. Beispielsweise das Bällebad Museum von Fabian Mrongowius. In der „Post-truth Gallery“ wird die Geschichte des Bällebads in 24 Bildern, zwei davon oben und im Artikel-Aufmacher, aufgerollt. Doch nicht alle historischen Impressionen sind echt. Die Besucher*innen waren in einem Quiz aufgefordert, die Fakes zu entlarven.

KI kills the internet star

Dass der Einsatz von KI im Netz massive Auswechslungen im Team der Influencer-Stars zur Folge haben wird, zeigten Oguz Yilmaz und Theresia Crone in ihrem Loft-Gespräch „Im Namen der Demokratie: Rettet die Creator!“. Yilmaz ist Teil des legendären YouTube Comedytrios Y-Titty, das von 2006 bis 2015 der Web-Gemeinde mit anarchischen Parodien den Spiegel vorhielt. Heute betreibt der 34-Jährige die Influencer-Agentur Yilmaz Hummel und tütet für Creator wie JustLeo oder Uyen Ninh Marken-Kooperationen ein. Crone ist Klimaaktivistin und Kolumnistin und selbst auf TikTok und Instagram unterwegs. Die beiden wissen also, wovon sie sprechen und teilten auch gleich transparent die Honorierung, die sie von Meta und ByteDance für ihre dortigen Präsenzen erhalten. Wenig überraschend: die Zahlungen sind unerheblich. Selbst Uyen Ninh, mit 2,1 Mio. Followern auf Insta und 3,1 Mio. auf YouTube beileibe keine Micro-Influencerin, bekommt nur Kleckerbeträge. Um hauptberuflich Content-Creator sein zu können, braucht es also möglichst gut bezahlte Werbekooperationen. Und die werden zunehmende von KI generierten Creators wie lilmiquela oder fit_aitana abgegriffen. Dass es sich bei diesen Geschöpfen keineswegs nur um aus Pixeln tumb zusammengezimmerte Männerfanasien handelt, zeigt die Auszeichnung von namae-koi beim ADC 2025 mit einem goldenen und vier bronzenen Nägeln.

Namae Koi ist die erste vollständig KI-generierte audiovisuelle Künstlerin. Ihre Debütsingle heißt „Echoes in Steel“. Geschaffen wurde Namae Koi von Mieke Haase, Chief Creative Officer bei der Agentur loved.  © loved / Mieke Haas

Die Digi-Creators werden praktischerweise auch von Meta mithilfe jener Daten KI generiert, die der Konzern von den Creator-Channels auf den hauseigenen Kanälen einsammelt. Die Kreatoren selbst vergrößern also mit jedem ihrer Beiträge den Wettbewerbsvorteil, den Meta in diesem Bereich vor allen Unternehmen der Welt hat. Eine Win-Win-Situation, von der allerdings nur einer profitiert: Mr. Zuckerberg. Yilmaz und Crone planen als Gegengift die Gründung einer Art Creator-Gewerkschaft. Ob das der Rettungsring ist, der die Szene über Wasser hält? Und was hat das Ganze mit der Bedrohung der Demokratie zutun, die hier in fast allen Talks Thema ist? Fraglich. Denn der demokratische Wert der vielen Influencer, die ungehemmt vor allem auf TikTok Lifestyleprodukte in die Kamera rammen, darf bezweifelt werden. Die alleinige Verdammnis von Meta und ByteDance greift ebenfalls zu kurz, denn auch Unternehmen arbeiten an der Produktion von KI-Influencern. Das ist eine logische Folge ihrer Profitmaximierung: Warum auf teure Influencer-Koops setzen, wenn doch KI-Alternativen kaum noch von den Originalen zu unterscheiden, eine millionenfache Followerschaft haben, wesentlich anpassbarer und günstiger sind?

re:publica-Kunst No.2: Chris Campe lud dazu ein, mit Klebepunkten Gender- und Generationszugehörigkeit zu markieren. Und mal eben die Stimmungslage zu punktieren. Offensichtlich war die Crowd überwiegend happy gestimmt.

re:publica-freie Raumschiffe

Zwischen Foren, Stages, Lightning Boxes, Atrien und Workshops präsentierten sich Inis der engagierten Zivilgesellschaft ganz analog an Ständen voller Klebesticker, Postkarten, Flyer und einem ohrenwackelnden Greenpeace-Schwein. Plantburger gab es für saftige 9 Euro, einen Frozen Yoghurt für 6. Diese rundum redliche Organisiertheit kennt man von hippen Stadtteilfesten, alles fühlte sich eher protestantisch als protestierend an. Medienmenschen wie Wahlstatistik-Experte Jörg Schönenborn flanierten durch die Gänge, ach ja, die Öffentlich-Rechtlichen haben eigene Bühnen und Foren auf der re:publica. Auch Friedrich Merz war zum Auftakt hier zu Gast. Er kritisierte erstmals deutlich Israels Kriegsführung in Gaza, doch weder nach dem Interview mit Markus Preiß, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, noch mit den Podcast-Hosts Florian Holland und Carolin Stegerer, sind Fragen aus dem Publikum gestattet. Auf dieses Manko – die re:publica ist qua Format eine Werbung für Dialog und Mitsprache  – aus dem Publikum heraus angesprochen, distanzierte sich re:publica-Moderator Nilz Bokelberg auf einer anderen Bühne denn auch deutlich: „Finde ich auch Scheiße. Aber Merz war eben auf dem WDR Europaforum. Ja, er war auch auf der re:publica aber irgendwie auch nicht.“ Es gab auf der re:publica also offensichtlich re:publica-freie Zonen, die wie Raumschiffe auf dem Gelände aufsetzen durften. Warum das gestattet wurde? Das Credo „Hauptsache Wachstum“ scheint auch für die 2007 mit 700 Gästen gestartete Digitalkonferenz zu gelten. Während anfangs im Mainstream unbekannte Nerds die Stars waren, sind es heute Promis aus Funk, Fernsehen und TikTok: neben Merz ließen sich u.a. Ricarda Lang, Heidi Reichinnek, Maja Göpel, Helge Mark, xscincare, Aaron Altaras, Franziska Giffey und Luisa Neubauer auf den Bühnen blicken.

Kunst No.3: Das Spiel „Truth is …“ haben Saskia Joanna Rauhut, Giorgio Perri und Yannis Maliaras so konstruiert, dass es langweiliger und schwieriger wird, wenn man bei der Wahrheit bleibt. Mit Lügen und Abweichungen wird es dagegen deutlich spannender. Sind wir bereit, für mehr Thrill unsere Wahrhaftigkeit zu opfern? Ist doch nur ein Spiel …

Die Mittel der Anderen

In vielen Talks ging es um die vielfältigen Erscheinungsformen, hallo Tradwifes, und digitalen Strategien der neuen Rechten. Was wir sehen, sei nur die Spitze des Eisbergs, führte Maximilian Oehl aus. Oehl ist Geschäftsführer der Agentur Media Force, die angetreten ist, um Extremismus und Desinformation in den Sozialen Medien zu bekämpfen. Er gründete die überparteiliche Organisation Brand New Bundestag und die Refugee Law Clinic (RLC) Köln. In seinem Talk „Der digitale Kampf um die politische Mitte“ zeigte er auf, wie beispielsweise die AfD mit künstlichen Accounts und Chatbots operiert, um Debattenhoheit in den Sozialen Medien zu erzielen und Themen zu setzen. Miro Dittrich und Thilo Manemann, beide Senior Researcher vom CeMAS, dem Center für Monitoring, Analyse & Strategie, stiegen noch tiefer ein in ihrem Talk „Gen Z: Eine neue Generation junger Neonazis? – Von neonazistischen Gruppen, jungen Rechtsterroristen und rechtsextremen Gamern“. Sie machten deutlich, wie sich Jugendliche in Chat-Gruppen radikalisieren und organisieren und wie scheinbar unverfängliche Themenumfelder wie Finess, Finanzen oder Gaming zu trojanischen Pferden für rechtsradikales Gedankengut werden. In Gaming-Communities, so die Referenten, radikalisieren sich zunehmend junge Menschen. In Spielechats, Discord-Server und Gaming-Foren werden extremistische Inhalte geteilt und junge Gamer driften aus dem demokratischen Diskurs. Dittrich und Manemann warnen vor einer neuen Welle rechtsextremer Radikalisierung speziell in der Gen Z. Befördert werde diese durch den massiven Abbau sozialer Strukturen und Treffpunkte für junge Menschen. Doch vielleicht werden die Angebote, die zum Beispiel Sportvereine immer noch machen, von der Gen Z zunehmend als unattraktiv empfunden? Maximilian Oehl setzt auf linkes, digitales Campaigning und starke Slogans als Gegengift. Der TikTok-Kanal „The Beautiful Game“ mit der Kampagne „#DEMOKRATEAM – Alles andere ist Abseits“, umgesetzt von Media Force und der Stiftung der DFL, sei ein gutes Beispiel dafür. In kurzen Statements positionieren sich dabei reichweitenstarke Fußballstars wie Thomas Müller oder Manuel Neuer gegen Rechts und für demokratische Werte. Doch der Kanal hat trotz reichweitenstarker Protagonisten nur 5809 Follower, die Beiträge wie das „Geh wählen“-Statement von Neuer nur wenige hundert Aufrufe. Platte und bewusst provokative Inhalte wie die der AfD sind und bleiben in der Mechanik sozialer Medien leider deutlich reichweitenstärker.

Heidis Heimspiel: Mit reichlich Applaus, jedenfalls von denen, die kurz mal ihr Handy aus der Hand legten, wurde die Hoffnungsträgerin der Linken begrüßt und immer wieder belohnt.

… und was wir tun können

Mit Vereinfachung, Provokation und, ja, mit Humor hat Heidi Reichinnek keine Probleme. Auch deshalb sind ihre Social Media-Präsenzen so erfolgreich. In den zahlreichen auf der re:publica platzierten Hinweisen auf die dunkle Problematik der digitalen Infrastrukturhoheit in den Händen weniger Tech-Milliardäre schimmerte Reichinneks Erfolgsstory gleich doppelt hell. Und die Frau legte auf der Digitalmesse einen gewohnt rasanten, schlagfertigen und sympathischen Auftritt hin. Überzeugender noch als ihre Verweise auf die generationsübergreifende Zusammenarbeit als Faktor für den Erfolg der Linken war ihr radikaler Verzicht auf Dogmatismus. Menschen mit Sympathie für die Linke kämen wiederholt auf sie zu, weil sie die Partei aufgrund ihrer Position gegen Waffenlieferungen für die Ukraine nicht wählen können. „Dafür gibt es doch die Grünen, dann wählt doch die“, würde sie diesen Menschen nicht unfröhlich entgegnen. Nicht alle müssten die Linke wählen, Hauptsache alle blieben im demokratischen Spektrum und im Dialog. Dem schloss sich auch Keynote-Speakerin Maja Göpel an.

Maja Göpel ist auf das Thema „Generation XYZ“ irgendwie so gar nicht eingegangen. Es tauge ja auch nicht, so Sprecher Dietrich Diederichsen auf einer anderen Stage, um Geschichte zu erklären und sei schlicht das, was Göpel auf ihr Auftaktchart schrieb: reaktionär.

Wie Jens Balzer mit seinem 2024 publizierten, tollen Buch „After Woke“ widmet sich auch Göpel der Rehabilitierung der Wokeness. In ihrem Talk „Reaktionär. Generationen, Zeitgeister und Zukunft“ lotete sie aus, wie wir im Taumel zwischen digitalem Mittelalter und illusionärem Fortschritt die Demokratie retten können. „Warum folgen wir bereitwillig destruktiven Kräften – und was können Hoffnung, Resilienz und Aufmerksamkeinsökonomie dagegen ausrichten?“, lautet Göpels Frage. Das Projekt der Woken, nämlich aufmerksam hinzuschauen und zu analysieren, was passiert, sei nötiger und wichtiger denn je. Und wer sich an der Begrifflichkeit störe, könne für „woke“ auch einfach den guten alten „Anstand“ einsetzen. Denn darum ginge es am Ende: Anstand gegenüber der Umwelt, der Gemeinschaft und gegenüber nachfolgenden Generationen. Und um das Projekt der Teilhabe und der produktiven Vielstimmigkeit. Schmallippig auf separierenden Details herumzureiten, sei zwar eine Paradedisziplin im linken Milieu, würde am Ende aber nur reaktionäre Zigarrenraucher erfreuen, so Göpel – hier zugegeben etwas grob zusammengefasst. Wir brauchen also mehr Großmut im eigenen Milieu und eine bessere Aufmerksamkeitsökonomie, denn es helfe niemandem, den trumpschenTrümmermeldungen hinterherzuhecheln. Stattdessen solle man seine Zeit und Aufmerksamkeit lieber jenen Menschen schenken, die das Projekt Demokratie voranbringen – oder einfach unseren Weg kreuzen. Siehst du das nicht genauso?

Die Kinorbital Habitats haben Michelle Brand, Toby Auberg, Tinka Vey und Henry Baumann geschaffen. Sie luden die Besucher*innen der re:publica25 dazu ein, kleine bunte Welten in zirkulierenden Lichtspielen zu entdecken, ganz analog. Die schimmernden Habitate zieren auch den Teaser dieser Rezension und so enden wir, wie wir begonnen haben.