LR pixel Das große KI-Gewitter - Business of Content

Das große KI-Gewitter

Man könne, so ein orientierender Text auf der Website des Veranstalters, die OMR 2025 zu seinem ganz persönlichen KI-Festival machen, wenn man es denn möchte. Es wird tatsächlich zahlreiche Vorträge zum Thema geben. Wir haben uns die wichtigsten Referent*innen und ihre Statements der letzten Wochen einmal genauer angeschaut und geben einen Überblick, was euch auf der OMR rund ums Sujet KI erwartet.

Scott Galloway: „Predictions 2025“

Der Marketing-Prof und Tech-Analyst (NYU Stern) lieferte seine hoch unterhaltsamen Voraussagen auf den OMRs der letzten Jahre verlässlich ab. Galloway beherrscht die Kunst der Zuspitzung, er ist schließlich Ami. Die monetären Schrumpfungseffekte, die sich Unternehmen vom KI-Einsatz versprechen, verglich der Wissenschaftler medienwirksam mit dem Abnehm-Medikament Ozempic – auch weil die Effizienzsteigerung durch KI gern verschleiert und nicht offen kommuniziert wird. KI versteht Galloway als Sparringspartner, um Ideen zu entwickeln, Pitch-Präsentationen zu erstellen, kritische Fragen zu formulieren und unnötige Routinen auszulagern. Der Mensch müsse nicht fürchten, von der Technologie ersetzt zu werden, wenn er dranbleibt und ihre Potenziale smart zu nutzen weiß. Er wird einen Rundumschlag präsentieren mit dem einen oder anderen interessanten Twist, bei dem wir uns ärgern, weil wir nicht selbst schon drauf gekommen sind.

Rebecca Carr: „Smarter Einstellen: Wie KI in HR den Unternehmenserfolg bestimmt“

Im Talk der CEO von SmartRecruiters wird es naheliegenderweise darum gehen, wie KI den Einstellungsprozess optimieren kann. Bester Beweis dieses Potenzials: der FC Liverpool. Das Vereinsmanagement gibt offen zu, in Arne Slot vor allem durch den Einsatz von KI den idealen Nachfolger von Jürgen Klopp gefunden zu haben, dessen Stelle zuvor als unbesetzbar galt. Dieses Beispiel stammt, zugegeben, nicht von Carr, sondern von mir, aber es würde ihr gefallen. Denn die Mission der CEO ist es, das Potenzial von KI für effizientes Recruiting und Talentmanagement hervorzuheben. KI-Algorithmen können Bewerbungen schneller und genauer analysieren, so Carr, indem sie Muster in den Daten erkennen und so geeignetere Kandidaten identifizieren. Immerhin spart Carr die notwendige Bekämpfung von Vorurteilen im Rekrutierungsprozess bei aller KI-Euphorie nicht aus. KI-basierte Systeme können laut Carr die Bewertungen und Auswahlentscheidungen objektiver machen, indem sie auf faktenbasierte Daten und Kriterien statt auf subjektive Meinungen zurückgreifen.

Nicholas Turley: „Wie ChatGPT die Welt eroberte“

Vom Head of Product bei OpenAI sind selbstverständlich keine kritischen Töne zu ChatGPT zu erwarten. Der Mann sitzt allerdings an der Quelle jenes Datenmolochs, mit dem wir uns täglich die Finger benetzen – und ist allein schon deshalb eine spannende Figur. Turley interpretiert die Interaktion mit ChatGPT und ähnlichen Modellen als dynamische, kontextsensitive Gespräche. KI werde dabei zunehmend als „virtueller Gesprächspartner“ eingesetzt. Turley geht fest davon aus, dass Tools wie ChatGPT nicht allein Komprimierungen des Vorhandenen liefern sondern Menschen in kreativen Berufen – Designern, Autoren oder Musikern – innovativen Input und neue Ideen liefern kann. Klar ist auch, dass sich Turley dafür ausspricht, dass die Regulierung von KI nicht nur technologische Aspekte umfassen sollte, sondern auch ihre sozialen und ethischen Auswirkungen. So wirklich ins Detail ging er mit diesen Bekundungen allerdings bisher nicht. Alles in allem ist ein Lobgesang auf ChatGPT zu erwarten unter besonderer Hervorhebung des Einsatzes in der Kundeninteraktion. Denn warum, so der Kopf von ChatGPT, sollen sich echte Menschen noch mit den Fragen anderer echter Menschen herumärgern?

Justin McLeod: „KI und die Zukunft des Datings: menschliche Verbindungen stärken, nicht ersetzen“

KI als dein Freund und Helfer: Der CEO von Hinge ist der festen Überzeugung, dass KI hilft, menschliche Verbindungen zu stärken, statt sie zu ersetzen. ​Wenig verwunderlich, der Mann ist schließlich CEO einer Dating-App. KI könne, so eines der Argumente von Justin McLeod, „bessere“ Matches finden, indem sie emotionale Kompatibilität und langfristige Beziehungspotenziale erkennt, die durch einfache demografische Daten nicht vollständig erfasst werden. Wie genau das funktionieren soll, kann ja dann live auf der OMR 2025 nachgefragt werden. Bisher jedenfalls ist der Mann diesbezüglich nicht ins Detail gegangen.

Amy Webb: „Technology Supercycle“

Die Zukunftsforscherin und Gründerin des Future Today Institute prognostiziert, dass KI, Biotechnologie und fortschrittliche Sensorik zu einer neuen Form der Intelligenz führen werden, die sie als „Living Intelligence“ bezeichnet. Webb beschreibt die aktuelle Phase als Beginn eines „Technology Super Cycle“, eines Jahrzehnte andauernden Zyklus exponentiellen Wachstums, der durch die Konvergenz von KI, Biotechnologie und Sensorik angetrieben wird. Sie warnt davor, dass Unternehmen, die diesen Wandel nicht aktiv gestalten und vorausschauend handeln, Gefahr laufen, von der Entwicklung überrollt zu werden. Vorsicht sei in der Handhabung der Daten gefordert, mit der KI trainiert wird – das Bias-Thema haben ja schon kluge Köpfe vor ihr diskutiert. Die Forscherin schlägt außerdem die Schaffung einer globalen Institution vor, die Standards für KI setzt, deren Entwicklung überwacht und deren Einsatz kontrolliert. Nur durch solche gemeinsamen Anstrengungen könne sichergestellt werden, dass KI-Technologien sicher und gerecht eingesetzt werden. ​Auch von Webb ist eher ein Überblicksvortrag zu erwarten – eher breit als tief aber immer inspirierend.

Philipp Klöckner: „Beyond the AI hype“

Das Lieblingsthema des Tech-Analysten ist der Wettbewerbsfaktor KI – weniger zwischen Unternehmen, sondern zwischen Nationen. Besonders die USA und China sieht er vorn, während er Europa als gefährdet einstuft, in diesem „KI-Rennen“ ins Hintertreffen zu geraten, wenn es keine klaren Strategien entwickele und Investitionen in Forschung und Entwicklung tätigt. Für Klöckner sind Daten die Grundlage für den Erfolg von KI. Eine ethisch verantwortungsvolle Strategie für die Handhabung dieser Daten, Transparenz und Fairness sind für ihn Voraussetzungen, um Diskriminierung und Missbrauch von KI zu vermeiden. Klöckner sieht eine große Chance für kleinere, bewegliche Unternehmen, durch den Einsatz von KI schneller zu wachsen, den Goliaths stehe dabei oft die Bürokratie im Weg. Klöckner ist ein Pragmatiker, der in seinem Vortrag ein internationales Fenster öffnen wird und Start-ups Lust machen kann auf die Potenziale von KI.

Matthias Haase: „Klassisches Fotoshooting vs. KI? Wie Zalando seinen Content neu denkt“

Beim VP Content Solutions bei Zalando verrät der Vortragstitel, was wir bekommen werden. Es wird spannend zu beobachten, inwieweit sich Haase als genau jener KI-Ozempic-Argumentierer entpuppt, den Scott Galloway in vielen Unternehmen ausgemacht hat. Statt klipp und klar zuzugeben, dass KI generierte Bildwelten im Vergleich zum Bikini-Shooting auf Barbados einen Haufen Geld sparen helfen, wird der Einsatz von KI in diesem Segment oft mit Innovationskraft und Offenheit gegenüber Zukunftstechnologien schöngeredet. Aber vielleicht findet Haase auch ganz neue Argumente für den Einsatz von KI in „klassischen“ (was ist damit überhaupt gemeint?) Fotoshootings? Beispielsweise jenes, dass in den konventionellen Shootings von Zalando, Otto, H&M, Mango und Co. der Einsatz von Photoshop die Bilder in den letzten Jahren ohnehin hat aussehen lassen, als seien sie KI generiert? Warum dann nicht gleich zum effektiveren Tool greifen?

Crystal Carter: „So wirst du als Marke mit SEO in KI-Antworten sichtbar“

Zuletzt folgt der wohl nischigste Vortrag zum Thema KI von der Head of SEO Communications beim Website-Baukastensystem Wix. Crystal Carter will zeigen, wie Marken ihre Sichtbarkeit in KI-generierten Antworten beeinflussen können. Ein bisher von vielen Unternehmen wohl eher vernachlässigtes Potenzial. Es geht also um Marketing im Nutzungsprozess generativer KI. Zentrale Fragen dabei: Weiß ChatGPT überhaupt, wer du bist? Ist deine Marke in Googles AI Overviews sichtbar? Und kannst du das irgendwie beeinflussen? All das provoziert selbstverständlich die Frage bei den Nutzern, ob sie denn überhaupt wollen, dass Marken Einfluss auf ihre Präsenz in KI-Tools haben können. Schließlich wollen wir uns doch alle dem Glauben hingeben, dass uns die KI allein qualitätsorientierte Antworten auf unsere geprompteten Fragen gibt.