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Männer im
Schwitzkasten

Die Mockumentary-Serie „Die Discounter“ gilt als die heißeste Referenz, wenn es um Bewegtbild-Content für die Gen Z gilt. Content Marketing-Formate wie „Für ALLE ALLE“ von Aldi Süd wären ohne die Produktion von „Pyjama Pictures“ und „Kleine Brüder“ undenkbar. Seit dem 10. Mai 2024 ist „Player of Ibiza“, die neue Mini-Serie der Crews um Christian Ulmen, der Zwillinge Oskar und Emil Belton sowie Bruno Alexander in der ARD-Mediathek verfügbar.

Kein*e PR-Manager*in hätte es besser planen können: Der seit Wochen diskutierte TikTok-Trend „Bär oder Mann?“ legt nahe, alle XY-Chromosomenträger geschlossen in ein Umerziehungslager zu stecken. Für alle, die es noch nicht mitbekommen haben: „Wem würdet ihr lieber allein im Wald begegnen: einem Mann oder einem Bären?“ lautet die Frage, die Influencer „Call me BK“ seiner Community stellte. Er hatte beobachtet, dass Frauen in seinem Umfeld sich zunehmend von Männern bedroht fühlen und wollte auf diesen Missstand aufmerksam machen. Und tatsächlich: Die meisten Frauen geben auf TikTok an, eine Begegnung mit dem pelzigen Raubtier zu bevorzugen. Die Begründungen? „Bei einem Bären erwartet man, getötet zu werden. Ein Mann kann so viel Schlimmeres tun.“ oder „Man würde mir glauben, wenn mich ein Bär attackieren würde“.  Diese Einschätzung wirft kein gutes Licht auf Sozialkompetenz und Einfühlungsvermögen des männlichen Teils der Bevölkerung und genau dieser Mangel ist der Ausgangspunkt der neuen Mini-Serie „Player of Ibiza.“ Die trifft damit mitten ins Herz des TikTok-Trends. Die fünf Folgen à 25 Minuten spielen am Set der fiktiven gleichnamigen Reality-TV-Show, deren Jubiläumsstaffel fünf vermeintliche Alpha-Männchen ins Rennen um Geld und eine „Queen“ schickt. Der Haken: Boomer-Chefredakteur Arne hat zu sparen und verlegt die Bachelor-Chose nach Buchholz in die norddeutsche Provinz. Statt der „Queen“ winkt dem Winner eine Art Genderkompetenz-Führerschein, denn die erlahmten Quoten sollen in einem Feminismus-Bootcamp gepusht werden. Anti-Sexismus sells, das jedenfalls ist die Meinung des abgehalfterten Arne.

Player of Ibiza, der Cast
Chaoten als Player: Toni (Paula Goos), Anthony (Emil Belton), Amelie (Larissa Sirah Herden), Marvin (Charles Booz Jakob), Abdel (Arman Kashani), Jeppe (Sammy Scheuritzel), Shirin (Altine Emini) und Tim (Bruno Alexander, v. l. n. r.). © NDR/Hannah Aders

Am Anfang war die Henne

„Player of Ibiza“ trägt denn auch von Take 1 an die unverkennbare Handschrift seiner drei Regisseure Bruno Alexander und der Zwillinge Emil und Oskar Belton. Die drei Hamburger Jungs sind seit der 5. Klasse befreundet und mit Mitte 20 allesamt noch Zielgruppe. Filmen tun sie schon lange, 2017 startete das Trio auf YouTube die Impro-Serie „Intimate“. Die Themen: Der Größenwahnsinn des Jung(s)-Seins, Anarchie in den Boomer-Vierteln Hamburgs, wilde Körperlichkeit sowie Sex und die Fantasien davon. Wie in den folgenden Produktionen auch, sind die Regisseure ihre eigenen Darsteller, garniert mit Friends and Family. Die Kamera ist ein Partner in Crime, selbstverständlich wie ein Smartphone begleitet sie die Jungsclique, zeichnet alles auf, nur kinematografischer, im Querformat. Bei Streifzügen durch Hamburg entspinnen sich um Störfaktoren wie eine Henne, die auf dem Fischmarkt eingesackt und zum Filmcasting mitgeschleppt wird, Dialoge und Slapstick. Man sieht dem Ganzen an, wie begeistert die Macher von Serien wie „Jerks“ sind und selbstverständlich nimmt man auch zu deren Regisseur Christian Ulmen und seiner Produktionsfirma Kontakt auf. Ulmen war es denn auch, der für die Adaption der niederländischen Fernsehserie „Vakkenvullers, deutsch: „Regalauffüller“, ein Regie-Team suchte und schließlich das Hamburger Trio beauftragte, das mit „Kleine Brüder“ zwischenzeitlich eine eigene GmbH gegründet hatte. 2020 wurde für Amazon Prime die „Die Discounter“ gedreht. Die Mockumentary um „Feinkost Kolinski“ und die dort arbeitende Truppe junger Verlierer um den Filialleiter Thorsten hat es dort auf Anhieb in die Top 10 der beliebtesten Serien in Deutschland geschafft. Es sind weniger die Dramaturgie oder raffinierte Handlungsstränge, mit denen die Serie punktet, es sind die wilden Ausbrüche der überklischierten Charaktere, deren Fäkal- und in alle Richtungen unkorrekter Humor für glattgebügelte Marketingabteilungen untragbar ist. Für diese mutige Unberechenbarkeit wird das Format von der Gen Z heiß geliebt. Ihre Unsäglichkeit macht diese Kombo anziehend, ganz ähnlich wie den Baumarktmitarbeiter Schildkröte, den wortlosen Charakter in der ebenfalls weitgehend improvisierten Erfolgs-Comedy „Dittsche“, den man trotz unverkennbarer Zerstörtheit liebgewann.

Player of Ibiza, Kuschelkurs
Vom Männercoach verordnete Kuscheleinheiten – eine der größten Challenges für ganze Kerle wie Marvin (Charles Booz Jakob, l.) und Anthony (Emil Belton, r.) © NDR/Hannah Aders

Die Trümmermänner

„Player of Ibiza“ ist ebenfalls von Pyjama Pictures produziert, Bruno Alexander und die Belton-Zwillinge bekamen beim Drehbuchschreiben Unterstützung von weiblichen Feminismus-Expertinnen, hatten aber ansonsten feie Hand. Die fünf potenziellen „Player“ und die Crew am Set, Regisseurin Amelie, Moderatorin Shirin und Kamerafrau Toni, werden von einer bewegten „versteckten“ Kamera begleitet und sprechen in Interviewsequenzen immer wieder direkt in die Kamera. Von Folge zu Folge expandiert, soweit erwartbar, das Chaos im ländlichen Raum. Den Boden dafür bereiten mehr oder weniger abstruse Feminismus-Challenges, zu denen – und das ist der mutigste Move – auch Coaches geladen sind, die tatsächlich veritable Feminismus-Expertise mitbringen: Etwa die spanische Porno-Produzentin Paulita Pappel, die sich für faire Pornos jenseits ausgelutschter und frauenverachtender Machtdemonstrationen einsetzt oder die Journalistin Mareice Kaiser, die über Geschlechtergerechtigkeit schreibt. Ihre Statements sprengen den satirischen Rahmen der Serie, die selbstverständlich lustvoll Trash-TV-Formate rund um Paarfindung und Primitivbalzerei persifliert. Plötzlich wird einfach mal Klartext über Mann, Frau und alles, was dazwischen in Schieflage geraten ist, geredet. Die Coaching-Sequenz mit Kaiser als Frau König (sic!) ist eine der Perlen der Impro-Kunst à la Alexander/Belton: Als sich Rapper Marvin im Stuhlkreis um Kopf und Kragen redet, „Wer baut denn alles nach dem Krieg wieder auf? Die Golden Gate Bridge?  Wurde von Männern wieder aufgebaut. Kennen Sie das Bild, wo die da alle sitzen?“, schiebt Regisseurin Amelie ein Board mit dem Stichwort „Trümmerfrauen“ in sein Sichtfeld. An diesem Punkt der Serie hat sie dafür zu sorgen, dass der U-Turn der Kandidaten Richtung Feminismus irgendwie hinhaut. Sie wird schließlich dafür bezahlt. Marvin hängt, ohne einen sinnvollen Bogen schlagen zu können, an seine Ausführungen dann einfach ein schlichtes „Trümmerfrauen halt“ an. Solch einen Humor kann man nicht skripten, er passiert, wenn sich alle auf ein gemeinsames Niveau eingegroovt haben.

Player of Ibiza, Feminismus-Coach

Hinter dem Rücken von Feminismus-Coach Anna König (Mareice Kaiser) versucht Regisseurin Amelie (Larissa Sirah Herden), das Interview mit passenden Stichworten zu lenken. © NDR/Hannah Aders

Körper als Kampfgebiet

Im Mix mit den offensichtlich nicht spontan entstandenen Statements von Amelie und Co. („Ich bin eine Frau und ich bin schwarz. Wer wenn nicht ich kann den Feminismus kommerzialisieren?“) hält das Impro-Theater die schwierige Balance zwischen ernsthafter Systemkritik und bestem Klamauk. Und da, wo bei den Discountern Anleihen zu „Stromberg“ oder „The Office“ unverkennbar sind, sind es bei den Playern Parallelen zu „Girls“, jener HBO-Comedy-Serie, in der die geniale Lena Dunham bereits 2012 das Chaos zwischen den Geschlechtern aus weiblicher Perspektive verhandelte und dabei auf Protagonistinnen jenseits eingeschliffener Schönheitsideale setzte. Auch die Player sind – trotz aller Mühen, die sich Pumper Tim im Gym oder Rapper Marvin beim Zöpfchenflechten geben – nicht wirklich instagrammable. Tim hat wegen Verfettung in Jugendjahren Dehnungsstreifen, „Machedonier“ (abgeleitet von „Macher“) Abdel ist klein, Zocker Jeppe unappetitlich, Marvin ungelenk und Anthony, der Einzige der Crew, der in Shape ist und ein Sixpack vorweisen kann, gesteht Männer-Coach Janke Zoller seine Magersucht: „Ich esse echt wenig.“ Ganz nebenbei wird die Wahrnehmung des eigenen Körpers als Problemzone, die so viele junge Frauen quält und die durch das Vergleichs-Stahlbad in den Sozialen Medien noch befeuert wird, zu einem Thema, vor dem auch eine Testosteron-Firewall keinen Schutz mehr bieten kann. Das ist noch nicht genial zu nennen aber viel mehr, als deutsche Serien für die Gen Z sonst schaffen. Ohne zu sehr spoilern zu wollen, sei verraten, dass das Ende der Serie enttäuscht. Doch auch das passt ins Konzept eines Formats, in dem das Verlangen der Protagonisten nach einem  Pool mit einem Aufstellbecken beantwortet wird. Wenn man erst mal drin ist, lässt sich auch darin prima planschen.

Player of Ibiza im Pool
Alles in allem sehr erfrischend: Die Charaktere Abdel (Arman Kashani), Marvin (Charles Booz Jakob) und Anthony (Emil Belton, v.l.n.r.) im Planschbecken in der Nordheide. © NDR/Hannah Aders

 

Die fünf Folgen von „Player of Ibiza“ sind seit 10. Mai in der ARD-Mediathek abrufbar. Nächster linearer Ausstrahlungstermin: 19. Juni um 23.30 Uhr im NDR Fernsehen.