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Willkommen im
Diversity-Zoo

Anfang Februar startete Heidi Klum ihre 16. wieder einmal vergebliche Suche nach Germany’s Next Topmodel (GNTM). Interessant, wie sehr gekonntes Storytelling für die Kandidatinnen zum Erfolgskriterium geworden ist.

Kandidatin Romina, 21, wirkt auf den ersten Blick recht makellos. Schlank, seidiges hellbraunes Haar, lasziver Blick, auf eine niedliche Art hübsch, wie Sophia Thomalla ohne Schlampen-Attitüde. „Ich werde ‚Germany’s Next Topmodel‘ 2021, weil ich das perfekte Vorzeigebeispiel dafür bin, dass man alles in seinem Leben erreichen kann, wenn man lediglich man selbst ist und an sich glaubt.“, gibt sie auf der GNTM-Homepage zu Protokoll. Das klingt nach Rocky Balboa, nach einer, die sich durchkämpfen musste, irgendwie, irgendwann, durch irgendwas. Was genau es ist, bleibt nicht lange im Dunkeln. Schon in der ersten Folge der 16. GNTM-Staffel hat Romina einen Friseur-Moment mit Kandidatin Chanel, 19. Die gesteht Romina, beide sitzen vor dem Schminkspiegel, da ist eh alles ein bisschen egaler, dass sie „krasse Narben“ habe und dass diese es seien, die sie besonders machen. Normalerweise würde sie diese Narben niemandem zeigen, doch das ändere sie nun, GNTM sei Dank. Die Zuschauer*innen hatten schon zuvor erfahren, dass Chanel unter der chronischen Darmerkrankung Morbus Crohn litt. Die wurde falsch diagnostiziert und so hätten die Bakterien Zeit gehabt, „sich in bestimmte Stellen meines Körpers zu fressen“. In Zeitlupe wurde uns sodann gezeigt, wo diese Stellen sich befinden. Chanel schiebt den Ärmel ihrer Bluse hoch und legt einen plastiniert aussehenden Unterarm frei.

Recht rehäugig, scheinbar makellos und eine Instagram-Gefolgschaft von 85.000: Kandidatin Romina (© ProSieben/Richard Hübner)

Schnitt zurück auf Romina.

Die scheint unter Lieferzwang zu stehen. Sie blickt Chanel ernst unter langen Wimpern an und sagt: „Auch ich habe eine krasse Entwicklung mit meinem Körper hinter mir.“ Sie sei schon ein paar Jahre auf Instagram unterwegs, wo sie ihren Körper ganz offensichtlich wie ein Luftballonfalter seine Gummis behandelt hat. Rominas Handydisplay zeigt eine Frau mit aufgespritzten Lippen und einer Kombi aus schwangerem Po und Wespentaille, auf die selbst Kim Kardashian stolz gewesen wäre, damals, vor zwei Jahren, als das noch trendete auf Instagram. Die Frau ist, klar, Romina und es ist kaum zu glauben, dass sich eine derart körperliche Aufgeblasenheit so mir nichts, dir nichts wieder zurückschrauben lässt. Nun ist wirklich Zeit für eine Werbepause. GNTM-Sponsor Flaconi lässt eine Frau in Unterwäsche herumtanzen, die aussieht, als hätte sie letztes Jahr noch im „Selbstwertgefühl Projekt“ des Kosmetik-Konkurrenten und „Wahre Schönheit“-Kampagnen-Pioniers Dove mitgemacht: ein bisschen braun, ein bisschen dick, ein bisschen gekräuselte Haare. Das perfekte Mittelmaß der Andersartigkeit.

Heidi Klum (links) und Juror Manfred Thierry Mugler. Manfred? Der Namenszusatz muss wohl sein, weil der Mann die Rechte an seinem Markennamen lange schon verkauft hat (© ProSieben/Richard Hübner)

Auftritt Heidi Klum.

Sie wird von den Kandidatinnen Göttinnen gleich verehrt, „OMG! Sie ist es wirklich“, spricht zum Auftakt dann auch wie Papst Franziskus vom Balkon auf „meine Mädchen“ herab. Einige falten staunend die Hände vorm Gesicht, andere fächeln sich Luft zu, später, beim Walk, wird ein Mädchen ohnmächtig – sind die Spätfolgen dieser Erscheinung schuld? Jedenfalls ist das jetzt doch ein bisschen verwirrend. Wir haben uns gerade auf das offensichtliche Leitmotto der Show, Diversity!, eingeschossen und jetzt das. Die Anbetung einer Frau, die 1998 als Covermodel der Bikini-Ausgabe der Sports Illustrated ihren Durchbruch hatte, auf der man sich nicht den kleinsten Haarriss im gestählten Idealbild des perfekten Körpers leisten konnte. Und die es ganz offensichtlich mit außerordentlicher Entschlossenheit geschafft hat, dieses Ideal 22 Jahre zu konservieren, obwohl sie, „ich weiß, man glaubt es kaum, hihi“, doch jede Woche drei Döner hätte. Heidi Klum lebt jetzt im Diversity-Headquarter Berlin, in einer WG mit Ehemann Bill Kaulitz und dessen Bruder Tom. Da sind ein, zwei, nein besser drei Döner wöchentlich ein klarer Ausweis von Integrationskompetenz.

James Brown, immer noch der überzeugendste Botschafter für Diversity und Black Pride: „Say It Loud – I’m Black And I’m Proud!“

Ja, Heidi Klum ist der Phineas Taylor Barnum des Fashion-Business. Der amerikanische Entertainer und Business man machte Mitte des 19. Jahrhunderts Freakshows populär. Er zeigte Menschen mit Abnormitäten, „Launen der Natur“, als Side Kick im regulären Zirkusprogramm. Schnell etablierte sich im Menschenzoo auch die Spielart der „Völkerschauen“, bei denen Indianer, Afrikaner, Lappländer, alles was exotisch und fremd schien, präsentiert wurde. Ob zu groß, zu klein, zu dick oder zu dürr, behaart oder gefleckt – den Zuschauer*innen war sehr genehm, was außerhalb der Norm war. Okay, gestern Abend war bei GNTM weder eine dreibeinige Frau zu sehen, noch eine mit Bart, auch keine Riesin oder Zwergin. So weit geht die Diversity bei Heidi Klum dann doch nicht. Die Andersartigkeit ist hier auf ein korrektes Maß wie mit einem Konturen entschärfenden Instagram-Filter heruntergedimmt, auf ein werbeverträgliches Flaconi-Maß eben. Es treten also auf: „petite Models“, wie Heidi Klum kleine Frauen nennt, Alex, eine Transgender-Kandidatin mit asiatischen Wurzeln, Plus Size-Frauen, die gehörlose Model-Anwärterin Maria und Chanel mit ihren Narben, die extrem weißwimprige Sara, Nana, die sich als „Boss Bitch“ bezeichnet, Romina, die von sich selbst sagt, sie sei vor einem halben Jahr ein anderer Mensch gewesen und Vanessa, die ihre Sexualität nicht labeln mag.

„Ich ist ein Anderer“, schrieb Arthur Rimbaud. Sind wir am Ende nicht alle nur Stückwerk im großen Identitätspuzzle?

So anders, so gut?

Warum nur beschleicht einen beim Zugucken dieser 16. GNTM-Staffel das Gefühl, die Redaktion habe die Kandidatinnen so lange in die Mangel genommen, bis endlich eine offensichtliche Diversity-Story auf dem Tisch lag? Romina hatte vor zwei Jahren die Abweichung vom Kardashian-Ideal so gering wie möglich zu halten, um Follower auf Instagram zu gewinnen. Heute hat sich das Spiel gedreht: Die Abweichung wird zur Norm, wenn du nichts Außergewöhnliches zu erzählen hast, hört dir auch keiner zu. Und wenn es Chanels Narben sind, die sie besonders machen, wie sie sagt, was wäre sie dann ohne? Langweilig? Sind vielleicht unsere Unaufmerksamkeit, unser oberflächlicher Blick Schuld daran, dass wir die Unterschiede zwischen uns nur wahrnehmen, wenn sie möglichst offensichtlich und krass sind und per Spotlight in unser Blickfeld gerammt werden? Würde man „die diesmal so unterschiedliche Schönheit meiner Mädels“, wie Heidi Klum sie nennt, diese 31 vielfältigen Facetten der Kandidatinnen digital zusammen morphen, würden sie sich wohl egalisieren und es käme ein glattes Monster des Idealen heraus. Und das heißt Heidi Klum. Während alle Kandidatinnen, auch die der vorangegangenen Staffeln nach und nach verschwinden, bleibt sie stets übrig. Heidi Klum macht sich auf die Suche nach Germany’s Next Topmodel und findet – immer nur sich selbst. Das ist die wahre und stets konstante Botschaft von 16 Jahren GNTM.