LR pixel Lieblingsmarken, Part One - Business of Content

Lieblingsmarken, Part One

In dieser neuen Reihe widmen wir uns Brands, deren Markenführung wir erstklassig oder bemerkenswert finden. Marken, deren Auftritt den Zeitgeist klug reflektieren oder sich davon so gar nicht beirren lassen. Content kann dabei strategisch eine wesentliche Rolle spielen, muss es aber nicht. Wir starten, wie sollte es bei einer Agentur mit ausgeprägtem Stilbewusstsein anders sein, mit einem Fashion-Label: der französischen Marke Jacquemus.

„Luxus geht immer“, befand kürzlich einer unserer Kunden aus der zurzeit arg gebeutelten Immobilienbranche. Wer heutzutage eine Immobilie kaufen möchte, sollte reichlich Eigenkapital haben oder es sollte ihr oder ihm egal sein, wie hoch die Zinsen gerade stehen. Was am Ende aufs Gleiche hinausläuft: Man muss einfach flüssig sein. Es gibt – grob schubladisiert – dabei zwei Arten von Reichtum zu unterscheiden:  Richness, die obsessiv gefeiert wird und Reichtum, der im Verborgenen angehäuft bleibt wie der der Brüder Theo und Karl Albrecht, die ihr Unternehmen Aldi in Nord und Süd aufteilten, zu Milliardären wurden und von denen nie gewollt ein Bild in der Öffentlichkeit erschien. Die offensive Strategie No.1 braucht Luxusartikel, die für die Masse unerreichbar und deshalb das definitive Unterscheidungskriterium zwischen denen da unten und jenem einen oberen Prozent sind.

J-a-c-q-u-e-m-u-s segelt leichtfüßig auf Luxuskurs, doch dazu später mehr

Erst Europa und dann

Wie sehr sich der Markt mit dem scheinbar Unerschwinglichen rentiert, zeigt seit Dezember 2023 die Forbes Liste der reichsten Menschen der Welt. Sie wird seit ein paar Monaten von Bernard Arnault, CEO und Vorsitzender der Luxusgütergruppe LVMH, angeführt. Die Stars der digitalen Welt, Jeff Bezos, Elon Musk, Mark Zuckerberg oder Larry Ellison, müssen sich aktuell hinter Arnault anstellen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Forbes-Liste, dass sich das Silicon Valley und der Rest der Welt hinter einem Europäer zu versammeln haben.  Mehr noch: Der 75-Jährige Arnault ist ein Verfechter der These, dass das wahre Leben analog stattfindet. Der LVMH-Grande twittert nicht, er hat keine „Accounts“, weder auf Instagram noch auf Facebook. Von TikTok wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst anfangen. Arnault telefoniert, wenn er kommunizieren möchte. Es darf davon ausgegangen werden, dass er dies wie einst Karl Lagerfeld, nicht mit einem Handy tut. Unerreichbarkeit ist in der Welt des always on eben doch die exquisiteste Form des Luxus. Die Süddeutsche Zeitung hat ausgerechnet, dass Arnaults Privatvermögen mit 191 Milliarden Euro in etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Griechenland entspricht. Eingespielt wurde diese Summe vom größten Luxusmarkenunternehmen der Welt mit etwa 70 Mode- und Kosmetiklabeln darunter Louis Vuitton, Christian Dior, Moet & Chandon, Sephora und Tiffany.

Der homöopathische Hauch von Luxus

Alle diese Namen sind weltweit auch jenen bekannt, die niemals eine Tasche von Vuitton, eine Robe von Dior oder ein Collier von Tiffany tragen werden. Fakes dieser Markenprodukte fluten die Welt, doch das tut der Tatsache keinen Abbruch, dass nur die Originale zählen. Für die Masse bleibt mit den lizenzierten Markendüften immerhin die Chance, sich einen homöopathischen Hauch von Luxus zu gönnen. Eine neue Marke in diesem exquisiten Reigen der Luxuslabels zu etablieren ist allerdings eine Kunst, die besonders im Modebereich sehr selten gelingt. Das französische Label Jacquemus hat es geschafft.

Stripes werden bei Jacquemus zu Stars, Tops zu Taschen und Sonnenschirme zum It-Piece à la Picasso (siehe unten).

Dieses Gefühl, wenn er ihr persönlicher Schattenspender ist: Die Malerin Francoise Gilot 1948 am Strand von Cannes mit ihrem damaligen Geliebten Pablo Picasso, fotografiert von Robert Capa. Ein Bild, wie es sich leicht auf dem Instagram-Kanal von Jacquemus finden könnte.

Bauhaus in frech und french

Gründer Simon Porte Jacquemus gründete sein Label mit 19 Jahren und zeigte seine Kollektion bereits drei Jahre später auf der Fashion Week 2012 in Paris – als jüngster Designer jemals. Seine Mode folgt dem Farbcode der Trikolore und der Formensprache des Bauhäuslers Oskar Schlemmer. Die Silhouette bekommt Esprit und bricht an überraschender Stelle auf. Seine Kreationen schaffen es, sowohl Figur auflösend als auch Figur betonend zu sein. Sie sind modern japanisch – Jacquemus selbst verweist gern auf sein Lieblingslabel Comme des Garçons – jedoch gewürzt mit Humor und Sexiness. Es sind schräge Kreationen für Frauen, die am Rande des Nervenzusammenbruchs die Weltgeschicke regeln, wie in den Filmen des spanischen Regisseurs Pedro Almodovar. Wie alle Mode-Granden seit Ives Saint Laurent, der sich bereits 1971 für seine Parfüm-Kampagne nackt ablichten ließ, macht sich der Designer in der Markenführung stets selbst zum Thema. Er führt seine Marke, die den Mädchennamen seiner Mutter trägt, überaus persönlich. Auf dem Instagram-Kanal des Labels, dem 6,4 Millionen Menschen folgen, ist der Modemacher neben Kollektions- und Showroom-Pics immer wieder selbst im Skiurlaub, auf seiner eigenen Hochzeit oder mit guten Freundinnen wie Julia Roberts zu sehen. Auch ein Bild der neugeborenen Zwillinge des schwulen Ehepaares Simon Porte Jacquemus und Marco Maestri findet sich seit April 2024 auf dem Account.

 

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In den Kommentaren finden sich sowohl prominente Glückwünsche etwa von Victoria Beckham als auch kritische Kommentare: Hätte es nicht gereicht, einfach Kinder zu adoptieren? Pros und Cons dürfen in dieser Kommentarspalte nebeneinander gedeihen. Mit der Strategie, eine Beziehung parallel zum Mainstream offensiv und doch gelassen zu leben, verleiht Simon Porte Jacquemus jedem seiner schrägen Pieces den Touch des Subversiven: Die Kundinnen und Kunden, seit 2019 gibt es Kollektionen auch für Männer,  tragen Mode aus dem Hause Jacquemus mit dem guten Gefühl, dabei durchaus ein Statement für die Ausgefallenheit und den Facettenreichtum von Lebensmodellen abzugeben. Ganz wichtig dabei: Südfranzösisches Savoir-vivre und eine Prise Humor. In Jacquemus-Kampagnen sind durchaus lachende Models zu sehen, sie müssen nicht wertig-arrogant à la Balenciaga an den Betrachtenden vorbeigucken. Im Marketing setzt Jacquemus weniger auf Content, wie es beispielsweise seine ähnlich kunstaffine Pariser Kollegin Agnès Andrée Marguerite Troublé mit ihrem Label „Agnès b.“ und ihrem von Künstlern gestalteten Magazin „Point d’Ironie“ tut.

 

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Jacquemus bleibt durch ausgefallene Pop up-Stores und sinnliche Objekte haften. So lässt er einen seiner Klassiker, die Tasche „Le Bambino“, in XXXL-Version als knallgelbes Voiture durch die Straßen von Paris rollen, als kussmundroten Eiswagen an der Cote d’Azur für Abkühlung sorgen oder als himmelblaues Taschen-Gummiboot die Badenden beglücken. Der stylische Popcorn-Automat in seinem Pariser Store ging selbstverständlich viral. Und manchmal nimmt man im Hause Jacquemus das Wort Branding eben auch sehr wörtlich: