LR pixel 5 Funken von Scott Galloway - Business of Content

5 Funken
von Scott Galloway

Scott Galloway, Boomer-Jahrgang 1964, weiß, wie man als Vortragender Show-Funken versprüht: „I’ve got 54 Slides in 1200 Seconds. So let’s light this candle.“, leitet er seinen Vortrag „Predictions 2024“ auf dem diesjährigen OMR-Festival im Mai 2024 ein. Statt 1200 Sekunden hätte er auch 20 Minuten sagen können, aber was soll’s: Der Mann ist eben Ami. Hellsichtig sind die Vorträge des Digitalexperten und Marketing-Professors der NYU Stern School of Business stets allemal und er lieferte auch in Hamburg ab. Hier sind seine fünf interessantesten Thesen.

No.1 Zeit sparen mit TikTok

„Viel bringt viel“ ist eine oft genommene Begründung für den Erfolg von TikTok,  Galloway schlägt zu Beginn seines Talks einen etwas anderen Bogen. Wir hören von ihm,  dass uns die Kurzvideo-Plattform aus dem Hause ByteDance die Last der Auswahl nimmt, sie diktiert uns mehr oder weniger, was wir sehen möchten. Menschen, so Galloway, mögen genau das. Sie wollen keine Entscheidungen treffen, sie möchten, dass Algorithmen das für sie tun. Und zeitsparend sei das als Zeitfresser geschmähte System dabei auch noch: Konsumenten, das weist der Marketingprofessor anhand von Statistiken nach, verbringen 150 Minuten pro Woche um zu entscheiden, was sie essen möchten – und 15 Minuten die Woche, um zu sinnieren, was sie auf Netflix gucken wollen. TikTok schenkt uns allen also im Vergleich zu Netflix sieben Tage im Jahr, die sonst im Bermudadreieck der Entscheidungsfindung versinken würden.

No.2 TikTok-Verbot? Überfällig!

TikTok stelle den dominanten Rahmen, in dem junge Menschen die Welt sehen. Das ist gefährlich, insbesondere in Kombination mit der hemmungslosen Datensammlung und dem daraus resultierenden Manipulationsspielraum, den ein Land wie China ohne den Ballast moralischer Skrupel nutzen könne. Und warum wird der Aktienwert von TikTok sich in den nächsten 24 Monaten verdreifachen? Weil die Investitionen ins System unschlagbar sind und Geld immer gewinnt. Deshalb geht es für Scott Galloway auch klar, dass die USA die Akkumulation medialer Macht in den Händen Chinas unterbinden will.

Scott Galloway hat einen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften und folgt immer auch der Spur des Geldes, was seine Analysen der Medien- und Markenwelt besonders vielschichtig macht. Sein Youtube-Kanal „The Prof G Show“ ist Pflichtprogramm für Menschen, die aktuelle Tech-Impulse und Interviews mit Macher*innen aus der Digital-Branche suchen. Seine stets polarisierenden Prognosen verbreitet er außerdem im Newsletter „No Mercy / No Malice“, in mehreren New York Times-Bestsellern oder teilt sie mit den 627.000 Abonnent*innen seines LinkedIn-Accounts. Galloway ist nicht nur Theoretiker, sondern auch Praktiker: Er hat neun Unternehmen gegründet. Als größter Erfolg wird medial immer gern der Verkauf seiner Digital-Intelligence-Company L2 gewertet, die 2017 für rund 160 Millionen US-Dollar an Gartner ging. Scott Galloway war außerdem im Vorstand der New York Times Company und Urban Outfitters.

No. 3 KI: Der Hype hat seinen Gipfel erreicht

„Data is the new oil? No, it’s naaaaaat.“, greint Scott Galloway wegwerfend.  Wir hätten vielmehr einen Datenüberfluss. AI hat das große Potenzial, diesen Überfluss produktiv zu machen. Künstliche Intelligenz sei in diesem Sinne wie eine Art Perlentaucher nutzbar, der für uns individuell Schätze birgt. Ganz nach dem Prinzip von Luxusmarken sortiere sie die Extras aus der Masse. Wenn Luxusmarken das mit ihrer absoluten Geschmackskompetenz begründen, tut KI das mit der Behauptung, die User*innen besser zu kennen als sie sich selbst. Denn ihr Konsumverhalten verrät die Wahrheit über ihr Verlangen, ungeschönt von Verdrängung und Imagekorrektur. Auch in Sachen Jobperspektive müsse sich niemand vor der neuen Technologie fürchten: AI wird dir nicht deinen Job nehmen, jemand der AI versteht, wird ihn dir nehmen.“, diagnostiziert Galloway. „Just learn AI.“, gibt er den Zuhörer*innen als Rezept für ihr Job-Überleben lapidar mit auf den Weg.

No. 4 Nächster Mega-Hype: GLP-1-Medikamente

Welche Tech-Erfindung 2024 den größten Einfluss auf die weltweite Ökonomie haben wird, weiß der Marketing-Experte natürlich auch: Es sind GLP-1-Medikamente. Die blutzuckersenkenden Arzneistoffe wie Ozempic und Wegovy, die vor allem zur Therapie des Typ-2-Diabetes eingesetzt werden, landen zunehmend in sogenannten Abnehmspritzen, mit denen sich die Menschheit vom Übergewicht befreien will. 10 bis 15 Prozent Körpergewicht sollen stark adipöse Menschen laut Studien durchschnittlich mit Ozempic innerhalb von etwa eineinhalb Jahren verlieren. Auch die hochdosiertere Variante Wegovy, die explizit für stark übergewichtige Menschen entwickelt wurde, ist global heiß begehrt. Immer ausgeklügeltere Werbung für zu fettiges, zu salziges und zu süßtes Essen würde den Diät-Unternehmen einen nie versiegenden Strom an Kundschaft zuführen und das Problem aktuell halten, so Galloway. An Fettleibigkeit sei nichts romantisch, konstatiert er weiter und die Pille habe das Potenzial, dieses Problem zu lösen.

No. 5 Epidemie der Einsamkeit

Männer in den USA vereinsamen nachweislich: Galloway führt an, dass einer von sieben Männern in den USA laut Statistik keinen einzigen Freund hätte, und Männern eine viermal so hohe Selbstmordquote wie Frauen attestiert wird. Tech-Firmen reagieren auf die Beziehungsunfähigkeit, in dem sie vor allem Männer davon überzeugen wollen, dass sie mit einem folgsamen Avatar ein glückliches Leben am Bildschirm haben könnten. „Nothing wonderful will ever happen to you on a screen.“, ruft Galloway mahnend ins Publikum und ergänzt: Geht öfter aus, trinkt und trefft schlechte Entscheidungen. Nur so könne man fürs Leben lernen, sagt Galloway und scheint damit ganz im Einklang mit seiner Zugehörigkeit zur Boomer-Generation zu sein.

Copyrights: Aufmacher von Gilberto Tadday / TED und Portrait von Jason Redmond / TED