Kürzlich haben die Kollegen der W&V mit dem Umbruch im TV-Markt aufgemacht: „Netflix wächst um satte 75 Prozent“, titelt Judith Pfannenmüller. Die W&V-Autorin hat sich den Digitalisierungsbericht Video 2018 der Landsmedienanstalten vorgenommen und die wichtigsten Ergebnisse aufbereitet. Dass Streaming-Dienste immer besser laufen und das klassische TV verliert, ist wenig überraschend. Dass Netflix jedoch der Konkurrenz davonzugaloppieren droht, verdient genauere Betrachtung der Content-Marketing-Strategie. Die ist sicherlich nicht allein für diesen Erfolg verantwortlich, ihre Rolle ist jedoch maßgeblich.
Cleveres Native Advertising bietet so viel mehr
Auffallend ist, dass Netflix insbesondere Native Advertising – obwohl auf Business of Content schon wiederholt als Mogelpackung oder Trojanisches Pferd gescholten – überaus klug einsetzt. Sehr viel klüger jedenfalls, als es bisher in Deutschland Praxis ist. Dadurch zieht der Streaming-Anbieter viele Vorteile.
Bestes Beispiel ist ein auf der Seite der New York Times erschienener Artikel über die Situation inhaftierter Frauen in US-Gefängnissen. Der Beitrag wurde vom Brand Studio der New York Times erstellt, ist als „Paid Post“ – also als Advertorial – gekennzeichnet und überschrieben mit den Logos von Netflix und der Serie „Orange Is The New Black“.
Auch in der zweiten Staffel der Serie, deren Start mit dem Post angekündigt wird, geht es um das Leben in einem Frauengefängnis in den USA. Der Artikel bietet die hohe journalistische Qualität, die von einem renommierten Nachrichtenmagazin erwartet werden kann: Drei sehr gut gemachte Interview-Videos mit Gefängnisinsassinnen, Audio-Sequenzen mit Original-Statements, eine sehr anschauliche, exzellente Grafik sowie einen sauber recherchierten (Quellen werden genannt) und gut geschriebenen Text. Branded Content par excellence!
Diese gründliche Arbeit wird mit der Serie verknüpft und die Leser bekommen das Gefühl, dass diese Gründlichkeit der Recherche auch in die Produktion der Serie eingeflossen ist, die ja eigentlich eine fiktionale Geschichte erzählt. Die Message lautet: Die unterhältst dich nicht nur, wenn du „Orange Is The New Black“ guckst, du informierst dich auch über tatsächliche Verhältnisse, zu denen Du normalerweise keinen Zugang hast.
Content Strategie muss zur Story der Brand passen
Das ist natürlich wesentlich geschickteres Content Marketing, als wenn Netflix einfach ein Making of der Serie mit Statements der Regisseure und Schauspieler in der NY Times publiziert hätte. Mal abgesehen davon, dass das auch nicht zur exzellenten Reputation des Trägermediums gepasst hätte. Derartig flache Ansätze ist man aus dem Boulevard gewohnt und so überrascht es auch nicht, dass das Bild Brand Studio mit dem Kunden Saturn genau diesen Ansatz wählt, um den Werbespot des Technik-Händlers zu thematisieren. Der Spot Anna, in dem es um einen dementen Mann geht, dessen Tochter via Augmented Reality die Erinnerung des Vaters ankurbelt, hatte kurz nach dem Start für Debatten gesorgt, weil der neue Ansatz so gar nicht zum „Geiz ist geil“-Appeal passen will, mit dem Saturn einst lautstark unterwegs war. Und gerade weil die Kunden der Elektronik-Kette ein ernsthaftes Interesse am Thema Demenz nicht abnehmen mag, wäre eine gründlich recherchierte und journalistisch aufbereitete Strecke über diese Erkrankung der Markenbotschaft sehr viel dienlicher gewesen. Mal abgesehen davon, dass das Thema offensichtlich sehr viel mehr Menschen berührt und interessiert als zu erfahren, dass beim Dreh des Saturn-Werbeclips Tränen geflossen seien, wie dessen Regisseur im Bild-Artikel erzählt. So ist die Effektivität dieser Kampagne gleich null.
Native Advertising in deutschen Medien – leider sehr oft zum Heulen.