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Entshittification des Stadtmarketings

Die Stadt Wien zeigt, dass sich das Schöne und das Gute smart zusammenschweißen lassen, um jenseits altbackener Mozartkugeligkeit für eine Kulturmetropole zu werben

Wer sich die aktuellen Slogans deutscher Städte anschaut, verzweifelt schnell. Sie taugen nicht als Titel für Stories, die Lust auf Lesereisen machen. Nehmen wir das Beispiel Berlin. Seit fünf Jahren soll der Claim „Wir sind ein Berlin“, kreiert von der Agentur Jung von Matt, für die Spreemetropole werben. „Jeder einmal in Berlin“, „Berlin erwartet sie wieder“, „Berlin ist eine Reise wert“, „Berlin tut gut“, „Mir geht’s Berlin“ und „be Berlin“ lauten die Vorgänger. Austauschbar? Noch untertrieben. Schade eigentlich, dass es das rotzige Bonmot von Berlins Ex-Bürgermeister Klaus Wowereit nie auf offizielle Verlautbarungen und Autobahnschilder schaffen wird: „Arm, aber sexy“ ist zu kantig und zu originell für deutsches Stadtmarketing. In Hamburg, der ewigen Hauptstadtrivalin, sieht es sogar noch düsterer aus. „Wachsen mit Weitsicht“ lautet die Subline des Tors zur Welt, die allerdings eher dazu angetan ist, die Zufahrt betonhart zuzumauern.

„Einfach leiwand“ lautet der Slogan der Stadt Wien und das ist doch schon ein ganz anderer Schnack. Kein Wunder, dass sich unter diesem Dach Ideen und Maßnahmen versammeln, die den Vorsprung der Ösis in Sachen Stadtmarketing sehr anschaulich machen. Bestes Beispiel: der Kultur Token.

Vor zwei Jahren als digitales Forschungsprojekt angelegt, zündete die Aktion ab April 2025 die zweite Phase. Merken Sie was? Forschung, Auswertung, zweite Phase – alles Bestandteile einer Strategie und nicht Schnellschuss-Reaktionen auf kurzfristige Herausforderungen. Die Idee: Klimafreundliches Alltagsverhalten wird mit kostenfreiem Kulturgenuss belohnt. Damit beweist die Stadt Wien echten Smart City-Vibe, viel überzeugender als Daten sammelnde Ampeln. So funktioniert das Ganze: Die Kultur-Token App erfasst die umweltfreundlichen Fortbewegungsmethoden der registrierten Bürgerinnen und Bürger – Gehen, Radfahren und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Sobald sie mindestens 20 Kilogramm CO2 eingespart haben, erhalten Sie einen Kultur-Token, der ihnen den Eintritt in eine der teilnehmenden Kulturinstitutionen in Wien ermöglicht. Davon ist auch Bestsellerautor Frank Schätzing begeistert:

 

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Stadtmarketing wird in Wien ganz offenbar als Stadtentwicklungsmanagement begriffen, das sich um urbane Lebensqualität zu kümmern hat. So verstanden ist städtische Öffentlichkeitsarbeit nicht nur eine nice zu habende Sloganschleuder, sondern schlagkräftiges Stadtentwicklungsinstrument und enge Partnerin der Stadtplanung. So lassen sich auch die viel zitierten Transformationsprozesse ankurbeln: durch prozessorientierte Anreize statt abtörnender Verbote. Echt leiwand, Wien!