Wieder hat jemand vergeblich versucht, ein Machtwort in Sachen Content Marketing zu sprechen. Diesmal scheiterte „Mr. Media“ Thomas Koch an der Begriffsklärung. Der Kolumnist und Blogger wunderte sich in einem W&V-Beitrag so gar nicht, dass niemand versteht, was Content Marketing eigentlich sei. Der Grund: Die, die es betreiben, wüssten es nicht zu erklären. Sie würden sich nämlich mit den Basics im Marketing nicht auskennen. Hier nun Herr Kochs Vorschlag:
„Noch einmal: Content ist größer. Next level. Content sind stimmige Inhalte und ehrliche Kommunikation. Content hat Inhalte, die auch kritischen Fragen standhalten. Content besitzt Haltung. Dann, aber auch nur dann, kann Content zur Königsdisziplin aufsteigen.“
Ersetzt man das englische Wort „Content“ durch seine deutsche Bedeutung „Inhalt“, wird klar, wie hilflos hier zu Werke gegangen wird: Inhalt sind stimmige Inhalte? Inhalt hat Inhalte, die auch kritischen Fragen standhalten? Ufff. Im Weiteren wabert der Beitrag ins Esoterische, die Metapher des Sonnensystems wird bemüht, um Erleuchtung zu bringen. Wer das Bild versteht, könne, so Koch, „Content zur Königsdisziplin der Kommunikation“ werden lassen. Jeder, der sich schon einmal auf einer Party beweisen musste, kennt diese Binsenweisheit: Ohne guten Plauderstoff begeistert man niemanden für sich. Und wer immer nur über sich selbst redet, geht nach dem letzten Song allein nach Hause – es sei denn, er hat einen Porsche, [sic!]. Das ist auch in der Markenkommunikation so.
Corporate Publishing wurde geboren, um hinter der neongrellen 40-Buchstaben-Kampagne eine tiefere, glaubwürdigere Verführungsebene einzuziehen. Es gilt, das Markenversprechen mit überzeugenden Inhalten und Geschichten einzulösen. Wenn Red Bull Rekorde brechen hilft und davon erzählt, scheint der Drink sein Versprechen, Flügel zu verleihen, tatsächlich einzulösen. Und verkauft sich in Langstrecke. Denn über ein paar Dosen gibt es einfach nicht groß was zu erzählen und eine kluge Bedienungsanleitung braucht es zum Öffnen auch nicht.
Dass die Publikationen von Unternehmen, seien es nun Filme, Websites oder Magazine, heute lieber Content Marketing genannt werden, hat a.) damit zu tun, dass vielen „Publishing“ zu sehr nach Papier also zu wenig up to digital klingt und b.) die im Markenauftrag Publizierenden natürlich endlich gerne in jene Budget-Sphären aufsteigen möchten, die in der konventionellen Werbung üblich sind. Die immer neuen Spielplätze und Genres der digitalen Kommunikation wollen gefüllt werden, um die Präsenz der Marken zu gewährleisten. Da man jedoch konventioneller Werbung im Netz viel leichter ausweichen kann als im echten Leben – ist eine Stadt erst einmal mit Plakaten gepflastert, werden sie auch gesehen – müssen neue Strategien her: Inhalte, mit denen sich die Menschen gern und nutzbringend befassen. Viel interessanter als die Debatte um die akkurate Bezeichnung dieses sich ausdifferenzierenden Subgenres der Werbung ist die Diskussion um deren Effizienz. Wenn ich Filmchen mit epischen oder unterhaltsamen Qualitäten online stelle und diese millionenfach geklickt werden, verkauft sich dann mein Produkt tatsächlich besser? Wie weit darf eine tolle Story vom Produkt entfernt sein, um noch darauf einzahlen zu können?
Hier ein Beispiel der Marke Johnnie Walker (ja, genau: Auch Bob Harris/Bill Murray ist in „Lost in Translation“ in Tokio unterwegs, um Whisky-Werbung zu machen). Der Film „Ode to Lesvos“ kommt wie ein ästhetisch aufgemotzter Dokumentarfilm daher. Er zeigt die Bewohner von Lesbos, die Unmengen an Flüchtlingen halfen, die an den Küsten der Insel landeten.
Aber was hat das Ganze eigentlich mit der Whisky-Marke zu tun und was mit der Realität? Gut, es werden Alltagshelden vorgestellt, durchweg grundsympathische Protagonisten und ihre Courage gibt eine bemerkenswerte Story ab. Aber alle Personen sind durch und durch gut, niemand je hat Zweifel oder Ängste, die wären ja auch nicht markenkompatibel. Und die umsetzende Agentur Anomaly, die von sich sagt, „Borderline Advertising“ zu betreiben, weiß eben ganz genau, wo die dem Kunden zumutbare Grenze zwischen unterhaltendem Gänsehaut-Plingpling und Dokumentation mit offenem Ausgang liegt. Dennoch erfüllt der Clip die Kriterien „Haltung zeigen“ und „Sinn stiften“, die Koch für relevantes Content Marketing in den Raum stellt. Doch wo Red Bull es schafft, die Menschen glauben zu lassen, sie werden leistungsstärker durch den Energy-Push aus der Aluröhre, wird niemand ernsthaft davon zu überzeugen sein, dass eine regelmäßige Dosis Johnnie Walker sie besser macht.
Hollywoodreifes Storytelling ist also nicht die Lösung, wenn Marken publizieren, um Menschen davon zu überzeugen, dass sie mit ihren Produkten ein glücklicheres Leben haben. Und darum geht es am Ende.
60 Sekunden Zusammenfassung
Muss das Arbeitsfeld Content Marketing definiert werden? Fest steht: Es wird immer wieder versucht. Kolumnist und Blogger Thomas Koch schlägt vor, markentingtauglichen Content über Qualität, die Fahigkeit, Kritik aushalten zu können und Haltung zu bestimmen. Doch „Content“ ist fernab von der Art seiner Beschaffenheit zunächst einmal nur Inhalt. Mit dem können sich Kunden auseinandersetzen. Aber: Wollen sie das auch? Viel interessanter als die Debatte um die akkurate Bezeichnung des sich ausdifferenzierenden Subgenres der Werbung ist die Diskussion um die Effizienz von Content Marketing. Unter welchen Umständen funktioniert es, Kunden mit Storytelling von einer Marke zu überzeugen? Reicht es, wenn die Geschichte gut ist? Oder muss nicht auch gewährleistet sein, dass sie glaubwürdig etwas mit dem Absender zutun hat? Die Analyse der Fallbeispiele Red Bull und Johnnie Walker zeigt: hollywoodreifes Storytelling ist nicht genug.