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KI küsst schlecht

Wir haben ein Magazin mit dem Schwerpunkt „Intelligenz“ für das Private Banking unseres Kunden Haspa produziert. Darin findet sich unter anderem die Antwort auf die Frage, welche Art von Cleverness eigentlich in Künstlicher Intelligenz steckt.

Das ist Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosoph, Erfinder, Mathematiker und für viele der klügste Deutsche. Der Wissenschaftler hat im 17. Jahrhundert das binäre Zahlensystem entwickelt und gilt als letzter Universalgelehrter. Grund genug, die KI von Midjourney ein Porträt von ihm zeichnen zu lassen und es aufs Cover unserer „Intelligenz“-Ausgabe des #1827-Magazins zu setzen.

Massenproduktion ist kein schönes Wort. Niemand will Masse sein oder so behandelt werden. Da ist man schnell im Bereich „Knetmasse“ unterwegs: die formbare, willenlose Masse, wir wissen ja alle, wo das endet. Ohne das virtuelle Revival frühkapitalistischer Fließbandproduktion gäbe es allerdings auch keine Künstliche Intelligenz. Die wird nämlich weder von Zauberhand im Computer generiert noch aus Luft und Liebe gezeugt. Sie braucht Datenfutter in extremer Dosierung, um zu funktionieren. Dabei ist die Massendatenhaltung mindestens so unappetitlich wie die unserer tierischen Fleischlieferanten in ihren Kastenständen. Gesichtslose Heere von Datensortierenden, die sich auf Plattformen wie Amazons „Mechanical Turk“ oder „Clickworker“ anmelden oder von Outsourcing-Firmen in humanitär und wirtschaftlich prekären Regionen der Welt angeheuert werden, gehen im Schein ihrer Monitore bizarr-tumben Tätigkeiten nach, für die sie – wenig überraschend – unterirdisch bezahlt werden. Die KI braucht die Daten-Vorkoster, da sie per se Fisch nicht von Fleisch, Blut nicht von Traubensaft und appetitlich nicht von unappetitlich unterscheiden kann. Echte Menschen müssen tote von lebendigen Katzen, solche aus Plastik und Stoff von jenen aus Fleisch und Blut unterscheiden und den Punkt setzen, was von all diesen Varianten noch als „Katze“ gelabelt werden kann und was nicht. Nur wenn das sauber gelingt, kann die KI jene „Wunder“ vollbringen, für die Tools wie Midjourney oder ChatGPT gefeiert werden. Die „Intelligenz“ der KI wächst mit dem Datenvolumen, das an sie verfüttert und realistisch kartografiert wird. Ohne die Klassifizierung der Zwischenstufen ist die KI nur eine Maschine, die Menschen mal mit einem, drei oder fünf Beinen ausspuckt.

Ebenfalls ein Leibniz-Portrait. In diesem Fall haben wir die KI gebeten, das Universalgenie im Stil von Keith Haring zu verewigen. Gelungen? Nun ja …

Echt jetzt?

Besonders verblüffend sind KI-generierte Texte und Bilder eben immer dann, wenn man sie von echten nicht unterscheiden kann. Damit das gelingt, muss die KI lernen, Graubereiche jenseits der binären Logik zu handhaben. Werbung ist ein Stahlbad, im Bereich des Verkaufens sind wir es gewohnt, dass Menschen, die Hautcremes verkaufen, 30 Jahre jünger von Plakatwänden lächeln, als ihr biologisches Alter es nahelegt. Das ist seit der Erfindung von Photoshop so. Dass wir uns auf dem News-Sektor jedoch nicht mehr sicher sein können, was fake und was echt ist, ist zweifellos ein Resultat der monströsen Weiterentwicklung der KI. Diese Leistungsfähigkeit hat ihren Preis. OpenAI, der Betreiber der KI ChatGPT, benötigt Berechnungen des Marktforschungsunternehmens Semi-Analysis zufolge, täglich 700.000 Dollar, allein um die zum Datenwiderkäuen nötige technische Infrastruktur am Laufen zu halten. Ein Ressourcen verschlingender Moloch, kein Wunder, dass ihm nicht nur heilsbringende, sondern auch bedrohliche Eigenschaften zugesprochen werden.

Leibniz No.3, interpretiert von der KI im Stil von Edvard Munchs „Der Schrei“. Mit den Klassikern hat Midjourney offenbar weniger Probleme als mit den Pop-Artisten.

Machtfaktor maschinelle Über-Intelligenz?

Die doch recht banale These, dass uns Maschinen in bestimmten Bereichen überlegen sind, dürfte spätestens seit der Erfindung des Baggers oder des Taschenrechners als belegt gelten. Warum erzeugt diese Feststellung im Fall der KI so viel Unbehagen? Woher kommt die Panik vor der Machtübernahme der Maschinen? Der Grund dürfte eben genau in der wenig abgezirkelten, potenziell unkontrollierbaren Molchhaftigkeit der KI-Fabriken liegen. Wer von uns Normalsterblichen überschaut schon, wie genau das Ganze funktioniert? Übrigens hat Metas KI-Chef Yann LeCun in Sachen Machtübernahme kürzlich in einem Interview Entwarnung gegeben. Die Voraussetzung für Intelligenz, die er als „gesunden Menschenverstand“ bezeichnet, sei das Verständnis der physischen Welt. Da KI dieses Verständnis derzeit nicht zu vermitteln sei, bleibe sie bis auf Weiteres dem Menschen unterlegen. Eine These, die auch Prof. Dr. Elsbeth Stern unterstreicht. Die Wissenschaftlerin der Eidgenössischen Technischen Universität Zürich (ETH), Fachgebiet Intelligenz- und Lernforschung, haben wir für die Januar 2024-Ausgabe des #1827-Magazins interviewt, das wir für das Private Banking der Haspa, der Hamburger Sparkasse, produzieren. Sie macht die Begrenztheit digitaler Maschinen an der Mathematik deutlich: „Der Computer rechnet aus menschlicher Sicht unintelligent. Wenn ich Ihnen die Aufgabe gebe, 730 minus 300 zu rechnen, tun Sie das anders als 730 minus 253. Der Computer wählt keine unterschiedlichen Rechenwege, er reproduziert eingegebene Daten. Er kann keine Muster erkennen, wenn er nicht vorab damit gefüttert wurde. Auch ChatGPT macht das, was Menschen vorher gemacht haben. Dabei kann mal etwas Neues herauskommen, wenn das System Gedanken und Informationen von Leuten kombiniert, die sich noch nie getroffen haben. Wirklich Neues entwickeln kann die KI nicht“, ist die Intelligenzforscherin überzeugt.

Hier lautete der Auftrag an die KI ganz einfach, Leibniz modern und bunt erscheinen zu lassen und im Hintergrund die Windräder zu zeigen, die er einst für den Bergbau im Harz konstruierte.

Digitale Ernüchterung

KI kann heute also im besten Fall Weltmeisterin smart kombinierter Reproduktion sein. Das ist ernüchternd aber auch nicht nichts. Lassen wir einmal die Diskussion um die Urheberrechte an Texten und Bildern, mit denen die KI gefüttert wird, außen vor. Extrem diskutabel bleibt die Frage der Qualität. In der legendären HBO-Serie „Sex and the City“ berichtete Carries Freundin Charlotte einmal von einem legendär schlechten Küsser. Er vollführte eine Art Leistungsschau mit seiner Zunge, die über die Ränder ihrer Lippen hinweg schlabbernd alle möglichen akrobatischen Kunststückchen vollführte. Der Mann dachte eben, dass bei der schlichten Addition aller möglichen Kuss-Varianten ein Meisterstück herauskommen müsse. Charlottes Freundinnen verzogen allein bei der Schilderung angeekelt ihre Gesichter. KI ist haargenau so ein schlechter Küsser, denn sie kann aus der Masse der Küsse dieser Welt nicht den einen erzeugen, der den Unterschied macht. Woher auch?

Die „Intelligenz“-Ausgabe des von Companions für das Private Banking der Haspa produzierten Magazins „#1827“ können Sie hier digital lesen. Die nächste Ausgabe des Magazins erscheint im Juni 2024 mit dem Themenschwerpunkt „Wasser“.